Nicht nur die Elektronen in der Atomhülle ordnen sich auf Schalen an, sondern auch die Protonen und Neutronen im Atomkern! Für die Beschreibung dieses Modells erhielt der in Hamburg geborene theoretische Physiker Hans Jensen 1963 den Nobelpreis für Physik. Sein Modell erklärt unter anderem die Stabilität bestimmter Elemente und damit deren Häufigkeit im Universum. Ein Beitrag von Tim Gabele.
Johannes „Hans“ Daniel Jensen wurde am 25. Juni 1907 in Hamburg geboren. Ab 1926 studierte er die Fächer Physik, Mathematik, physikalische Chemie, Chemie und Philosophie an der Universität Hamburg. Er promovierte 1932 bei Wilhelm Lenz über Verfeinerungen des Thomas-Fermi-Modells der Atomhülle. Danach erhielt er eine Assistentenstelle und nach seiner Habilitation 1936 eine Dozentur am Institut für Theoretische Physik der Universität Hamburg. Als 1937 nahezu alle seine Kollegen der NSDAP beitraten, dachte er über eine Emigration oder eine Tätigkeit in der Industrie nach. Ihm gleichgesinnte Kollegen überzeugten ihn jedoch zu bleiben, um nach dem Ende des NS-Regimes beim Wiederaufbau der Universitäten helfen zu können und Unrecht soweit wie möglich zu vermeiden. 1941 wurde er Professor in Hannover und konnte dort gemeinsam mit einigen Kollegen die Deportation eines jüdischen Physikers verhindern. 1947 erhielt Jensen die Würde des Ehrenprofessors der Universität Hamburg. 1949 ging er nach Heidelberg, wo er – abgesehen von mehreren Gastprofessuren in den Vereinigten Staaten – Zeit seines Lebens blieb.
Heimat Heidelberg
In Heidelberg baute er das Institut für Theoretische Physik auf und wurde zum „Motor der Entwicklung der gesamten Heidelberger Physik“. Durch Berufungen mehrerer Professoren wurde Heidelberg eine der führenden Universitäten im Bereich der Kernphysik. Fortan kamen viele herausragende Physiker jener Zeit zu Besuch nach Heidelberg. So zum Beispiel Wolfgang Pauli, den Jensen aus seiner Zeit in Hamburg kannte und der Deutschland seit dem Krieg ferngeblieben war. Jensen erreichte den Ankauf eines neuen Gebäudes, in dem die Zentralbibliothek der Physik-Institute errichtet wurde und in dem er selbst zwei Zimmer bewohnte und einen Garten bewirtschaftete – oft schon ab 6 Uhr morgens. Für Jensen dienten seine Vorlesungen lediglich der Anregung. Das Wissen sollten sich die Studenten eigenständig in den Übungen aneignen. So soll er einmal in eine Vorlesung gekommen sein mit einer Bibel in der Hand und den Worten: „Ihr sollt aber nicht nur Hörer des Wortes, sondern auch Täter desselbsen sein.“
1963 erhielt Hans Jensen zusammen mit Maria Goeppert-Mayer den Nobelpreis für Physik „für ihre Entdeckung der nuklearen Schalenstruktur“. Die folgende Anekdote ist wohl das beste Beispiel für Jensens Charakter: „Als Jensen am Morgen nach der Bekanntgabe der Nobelpreisverleihung vom Ministerpräsidenten des Landes gefragt wurde, ob er einen besonderen Wunsch habe, sagte er sofort: ja, Sie können einem staatenlosen Studenten, der aus dem Irak vertrieben wurde, die deutsche Staatsbürgerschaft erteilen. Der Student erhielt sie.“
Das Schalenmodell des Atomkerns
Der Kern eines Atoms besteht aus Protonen und Neutronen – den so genannten Nukleonen. Das Schalenmodell des Atomkerns besagt, dass sich diese in Schalen anordnen – ähnlich wie sich die Elektronen der Atomhülle auf Schalen um den Atomkern herum anordnen. In der Schule lernt man, dass sich nur eine bestimmte Anzahl an Elektronen auf derselben Schale befinden können. Daraus folgt der Aufbau des Periodensystems der Elemente wie wir es kennen – und damit viele Eigenschaften der Elemente. Der Grund dafür ist das Pauli’sche Ausschließungsprinzip.
Das Pauli-Prinzip gilt auch für Nukleonen. Aus der Besetzung der Schalen kann man – analog zum Beispiel der Atomhülle – Eigenschaften eines Nuklids bestimmen. Als Nuklid bezeichnet man einen Kern mit einer bestimmten Anzahl an Protonen und Neutronen. Zum Beispiel hängt die Stabilität eines Atoms von der Anzahl seiner Protonen und Neutronen ab. Dieser Zusammenhang lässt sich durch das Schalenmodell des Atomkerns erklären und kann durch die Nuklidkarte visualisiert werden (siehe Abbildung). Diese gibt an, ob ein Nuklid mit gegebener Protonen- und Neutronenzahl vorkommt und ob es stabil ist. Wenn es nicht stabil ist, ist der Typ des Zerfalls angegeben.
Magische Zahlen und der Erdkern
Wenn die äußerste Schale der Atomhülle vollständig mit Elektronen besetzt ist, liegt ein Edelgas vor. Diese Gase sind besonders stabil und wenig reaktiv. Analog ist ein Atomkern mit vollständig besetzter äußerer Schale besonders stabil. Dies kommt bei einer bestimmten Anzahl an Protonen oder Neutronen vor – den sogenannten magischen Zahlen. Diese sind 2, 8, 20, 28, 50, 82, … (siehe Nuklidkarte). Kerne mit einer solchen Anzahl Protonen entsprechen den Elementen Helium, Sauerstoff, Calcuim, Nickel, Zinn und Blei. Da diese besonders stabil sind, kommen sie auch besonders oft im Universum vor. Aber auch andere Nuklide, wie zum Beispiel Eisen-56 mit 26 Protonen und 30 Neutronen, sind aufgrund ihrer Schalenbesetzung sehr stabil. Insbesondere kann man damit erklären, warum der Erdkern aus Eisen und Nickel besteht, aber auch, warum die Sonne Wasserstoff in Helium umwandelt und nicht in ein anderes Element.
Quelle
Hans-Günter Dosch, Berthold Stech – Johannes Daniel Jensen (uni-heidelberg.de)