Generationen im Vergleich: Hier teilen ein Großvater und seine Enkelin ihre Eindrücke von und Erfahrungen an der Universität Hamburg. Ein Blog-Beitrag von Gina Konietzky
Peter Michael, Wedel, den 26.10.2018
Vom Mai 1960 bis Februar 1964 habe ich Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg studiert. Die Hamburger Universität befand sich damals noch voll in der traditionellen Gedankenwelt deutscher Universitäten. Humboldt und sein umfassendes Bildungsideal standen im Mittelpunkt der Lehre. Deshalb war es für uns selbstverständlich, in den ersten drei Semestern noch Vorlesungen der benachbarten Fächer (Soziologie, Psychologie, Rechtswesen mit Klausuren) zu besuchen. Die Vorlesungen in Philosophie von Professor von Weizäcker wurden von Studierenden aller Fakultäten intensiv besucht. Das hat unseren Horizont erweitert.
Die Studierendenschaft hatte eine andere Zusammensetzung als heute. Nach meiner Erinnerung gingen weniger als zwanzig Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten als Studierende an die Uni. Der Anteil der weiblichen Studierenden war bis auf die pädagogischen Fächer gering. Wir empfanden es als Privileg, Studentinnen oder Studenten zu sein. Es war die Zeit, in der unsere Väter- und Mütter-Generation nach der Rückkehr aus dem Krieg bzw. der Gefangenschaft das sog. „Wirtschaftswunder“ geschaffen haben.
Für die zehn Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten ging es sehr ernsthaft um die Schaffung einer neuen Existenz. Die Flüchtlinge aus der DDR vor dem Bau der Mauer im Jahr 1961 waren bestrebt, über das Studium im Westen Fuß zu fassen. Über den Krieg und die Nazi-Zeit wurde wenig bis gar nicht gesprochen. In dieser gesellschaftlichen Phase der Anstrengungen für den Wiederaufbau wäre niemand auf den Gedanken gekommen, als zukünftige Führungskraft auf eine angemessene Mischung von Arbeit und Freizeit zu dringen.
Die Professorenschaft der Universität war größtenteils sehr angesehen und genoss einen herausgehobenen gesellschaftlichen Status, der erst mit der 68er-„Revolution“ verloren ging. Die betriebswirtschaftliche Fakultät erhielt durch vier Professoren ihr besonderes Gepräge. Jeder vertrat eine andere Lehrmeinung, so dass es für die Studierenden anspruchsvoll war, die Examensthemen im Sinne des jeweilig prüfenden Professors erfolgreich zu bearbeiten. Gegen Ende meines Studiums setzte sich die Lehrmeinung von Professor Gutenberg aus Köln immer mehr durch, nicht nur in Hamburg, sondern in allen westdeutschen Universitäten. Es war der Versuch, durch Adaptation von mathematischen Modellen der Betriebswirtschaft einen unbestreitbar wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Die bisherigen geisteswissenschaftlichen Ansätze der Betriebswirtschaftslehre verschwanden mit der Emeritierung der älteren Professorinnen und Professoren. Die damit mögliche Verschulung hatte auch in der Betriebswirtschaftslehre Einzug gehalten. Beinahe zwangsläufig erhöhte sich damit auch der Zensuren-Durchschnitt in den Prüfungen.
Für uns Studierende aus den Anfangsjahren der 1960-Dekade hat die Art des damaligen Studiums uns für das ganze Berufsleben geprägt. Wir haben uns bemüht, die immanente Struktur einer Aufgabe zu erkennen und das Problem in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Im Anschluss an das Studium war es kein Problem, herausgehobene Positionen in der Wirtschaft zu finden.
Gina Konietzky, Hamburg, 14.11.2018
Fast fünfzig Jahre später, im Jahr 2012, begann ich mein Studium an der Universität Hamburg, zunächst mit dem interdisziplinären Bachelor „Wirtschaft und Kultur Chinas“ und nach Beendigung dessen in der klassischen Volkwirtschaftslehre. Zwei Generationen nach meinem Großvater erlebte und erlebe ich die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, die Studierenden und die Universität Hamburg aus der heutigen Perspektive.
Vieles hat sich verändert. Die Anzahl der Studierenden ist deutlich angestiegen, zu studieren ist heute Vielen zugänglich. 56 Prozent der über 43.000 Studierenden sind weiblich, immerhin 31 Prozent der Professuren sind mit Frauen besetzt. Auch die Mentalität hat sich verändert: Studierende schwanken heute zwischen dem Streben, im klassischen Sinne etwas leisten zu wollen, und dem Wunsch, ein Leben der persönlichen Erfüllung zu führen, hin und her.
Die Wirtschaftswissenschaften haben sich entlang der in den 1960er-Jahren begonnenen Verschulung weiterentwickelt. Die Ausdifferenzierung der Volkswirtschaftslehre in viele Spezialbereiche, und die Konzentration auf die quantitative Arbeit schafft eine neue Herausforderung für Studierende: Wer das Wesen der eigenen Wissenschaft greifen möchte, muss die präsentierten Fragmente über Jahre hinweg sammeln und selbst in ein Gesamtkonzept zusammenfassen. Anstatt mit einer deduktiven Vorgehensweise wird heute induktiv gelehrt.
Aber: Eine Universität bildet nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für das Leben in unserer Gesellschaft aus. Die Einordnung des gelernten Stoffs in den Kontext größerer Zusammenhänge wie die der Philosophie, der Geschichte oder der Politikwissenschaft ermöglicht es, die Rolle der eigenen Wissenschaft und der eigenen Person in der Gesellschaft zu begreifen und macht Studierende zu mündigen Bürgern unserer Demokratie. Dies zu erreichen, bedarf mehr Auseinandersetzung, sowohl zwischen Studierenden als auch zwischen Studierenden und engagierten Lehrenden. Die Anerkennung der Wichtigkeit des Diskurses und die konkrete Förderung der Debattenkultur in Vorlesungen und Seminaren ist daher mein persönlicher Wunsch für die Zukunft der Volkswirtschaftslehre und der Universität Hamburg als Ganzes.

2 Antworten zu “UHH gestern und heute: Perspektiven von Großvater und Enkelin”
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