„Was studierst du? Austronesistik?“ Viele Menschen wissen nicht, was Austronesistik ist. Dabei beschäftigten sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Hamburg bereits lange vor der Gründung der Universität mit diesem spannenden Fach. Ein Beitrag von Rita Kusuma Dewi.
Der Ursprung
Die Austronesistik ist quasi ein anderer Name für die Fachabteilung Indonesische und Südsee-Sprachen. Aber was ist die eigentliche Bedeutung? Austronesistik ist ein Sachgebiet, das sich mit austronesischer Sprache, Kultur und auch Geschichte befasst. Es umfasst insgesamt etwa 1200 Sprachen und damit eine der größten Sprachfamilien der Welt. Der geografische Raum, den die Austronesistik abdeckt, ist ebenfalls sehr groß. Er umfasst die ASEAN-Staaten Indonesien, Malaysia, Philippinen, Brunei, Singapur, ferner Ozeanien (Polynesien, Melanesien, Mikronesien), Taiwan (Sprachen der Ureinwohner), Neuseeland (Maori) sowie Madagaskar.
Aber warum ausgerechnet Austronesistik in Hamburg?
Die Geschichte der Austronesistik in Hamburg geht auf die Gründung des Hamburger Kolonialinstituts im Herbst des Jahres 1908 zurück. Damit begann auch die Beschäftigung mit Indonesien und den Südseeräumen bereits vor der Gründung der Universität Hamburg (1919). Die anfänglichen Beweggründe für die Gründung des Kolonialinstituts waren aber wohl noch koloniale Handelsinteressen.
Otto Dempwolff (1871–1938) war die erste Person, die das Seminar Austronesistik geleitet hat. Seine Schüler und er arbeiteten in der Sprachforschung, und er forschte im Bereich afrikanische und austronesische Sprachen. Ab 1912 gab er Einführungen in melanesische und mikronesische Sprachen. Zum ersten Mal wurde der Kurs „Geschichte und aktuelle Situation in Niederländisch Indien“ (was dem heutigen Indonesien entspricht) im Winter 1912/13 angeboten. Ab 1919 wurden regelmäßig Vorlesungen über Malaiisch, Javanisch und Samoanisch gehalten.
Anfangs waren afrikanische, indonesische und Südseesprachen noch zu einem Seminar zusammengefasst. Erst 1931 spaltete sich mit dem Seminar Indonesische und Südsee-Sprachen ein spezialisierter Zweig ab. 2005 wurde der Arbeitsbereich Festland-Südostasien in die Abteilung Austronesistik integriert. Seit 2007 gibt es einen gemeinsamen B.A.-Studiengang „Sprachen und Kulturen Südostasiens“ mit drei Sprachprofilen (Austronesistik, Thaiistik und Vietnamistik). Die Regelstudienzeit beträgt acht Semester. Vor dem Abschluss des Studiengangs ist ein Auslandssemester Pflicht. Meistens geschieht das im sechsten Fachsemester. Studierende der Sprachen und Kulturen Südostasiens können ins jeweils gewählte Land gehen. Ziel ist es, Sprachkentnisse zu vertiefen und die Kulturen des jeweiligen Landes zu verstehen, beziehungsweise kennenzulernen.
Heute haben Austronesistik Studierende eine große Auswahl von Zielen für ein Auslandssemester oder einen Austausch an den Universitäten in Indonesien, zum Beispiel an der Sam Ratulangi in Manado, Udayana Universität auf Bali, Gadjah Mada Universität in Zentral Java und Universität Indonesia in Jakarta.
Viele Studierende der Austronesistik entscheiden sich für dieses Fach, weil sie einen indonesichen Elternteil haben und ihre Herkunft besser kennenlernen wollen, also die Sprachen und die Kultur ihrer Vorfahren. Dieser Studiengang gibt ihnen einen Überblick über ihre zweite Heimat.
Personen, die die Fachabteilung Austronesistik geprägt haben, waren unter anderem:
1922–1936 Oesman Idris aus Sumatra (erster indonesischer Sprachgehilfe in Hamburg),
1949–1954 Prof. Dr. Walther Aichele setzte fort, nachdem Otto Dempwolff starb (er war Schüler von Dempwolff und erforschte die alten Literaturen),
1954–1978 Prof. Dr. Hans Kähler, forschte am Sprachvergleich weiter. Außerdem vertiefte er die Erforschung der Sumatra-Sprachen und erstellte eine Grammatik des Standard-Indonesischen,
1979–1981 Prof. Dr. Lode F. Brakel.
Quelle
Ludwig Paul (Hrsg.): Vom Kolonialinstitut zum Asien-Afrika-Institut: 100 Jahre Asien- und Afrikawissenschaften in Hamburg, Ostasien Verlag, Gossenberg 2008.