In diesem Jahr wird gefeiert – 100 Jahre Universität in Hamburg (UHH). Auch im letzten Jahr wurde schon gefeiert: 50 Jahre 68er. Im Jahr 1968 begann ein großer gesellschaftlicher Umbruch. Im Fokus waren dabei insbesondere die Universitäten. Vielerorts kam es zu Studierendenprotesten und auch an der Hamburger Universität kam es zu einer Zäsur. Ein Beitrag von Christopher Hirch.
Am 9. November 1967 enthüllten die AStA-Vorsitzenden Detlev Albers und Gert Hinnerk Behlmer bei der Rektoratsübergabe vor der Professorenschaft ein Banner mit der Aufschrift „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Zu dieser Zeit war die UHH eine „Ordinarienuniversität“. Die ordentlichen Professorinnen und Professoren trafen dort alle wichtigen Entscheidungen. Die Rektoratsübergabe war ein mehrstündiger feierlicher Akt, bei dem die Professorinnen und Professoren in Talaren gekleidet waren – daher war es für viele Professorinnen und Professoren eine Ungeheuerlichkeit, eine derart würdevolle Veranstaltung für eine so dreiste Protestaktion zu nutzen.
„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“
Der Spruch zielte auf die Vergangenheit vieler Professorinnen und Professoren in der NS-Diktatur, die die NS-Rhetoriker auch als „1000-jähriges Reich“ bezeichnet hatten, ab. Nach Ansicht vieler Studierender war diese Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden. Außerdem wurde der Ruf nach einem Aufbruch, der als verkrustet und elitär angesehenen Strukturen, immer lauter.
„Hamburg war kein Zentrum der Studentenbewegung […], aber diese Aktion gegen die autoritären Strukturen der Universität wurde bald legendär und der treffsichere Spruch auf dem Transparent zum bekanntesten Slogan der damaligen Protestbewegung“, ordnet Prof. Dr. Rainer Nicolaysen von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte das Geschehen gegenüber dem Campus-Newsroom der UHH ein.
Peter Fischer-Appelt
Eine weitere zentrale Figur des Umbruchs war der damals 36-jährige evangelische Theologe Peter Fischer-Appelt. 1968 gründete er die Bundesassistentenkonferenz, kurz BAK. Die BAK verstand sich als hochschulpolitische Interessenvertretung des so genannten „akademischen Mittelbaus“, also der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Assistentinnen und Assistenten. Bis 1970 war er auch ihr Vorsitzender.
In Folge der 68er-Bewegung – und der Banneraktion und der damit verbundenen öffentlichen Aufmerksamkeit – kam es in Hamburg 1969 zu einer umfassenden Hochschulreform. Sie besiegelte das Ende der Ordinarienuniversität und ermöglichte es, dass erstmals nicht nur Professorinnen oder Professoren Präsidentin oder Präsident (bisher hieß das Amt „Rektor“) der Universität werden konnten und räumten dem Mittelbau und der Studierendenschaft umfassende Mitbestimmungsrechte ein.
Trotz mehrerer Kandidaten aus den Reihen der Professorenschaft wurde Fischer-Appelt im fünften Wahlgang mit den Stimmen der Assistentinnen und Assistenten sowie der Studierenden zum Präsidenten der UHH gewählt. Das Amt hatte er von 1970 bis 1991 inne.
Seine Amtszeit war von einer gründlichen Aufarbeitung der Nazizeit, der Etablierung demokratischer Strukturen an der Universität, wie wir sie heute noch kennen, und einer europaweiten Vernetzung der UHH geprägt.
Nach dem Zerfall der „UdSSR“ lagen Fischer-Appelt die osteuropäischen Universitäten am Herzen. Im Auftrag des Europarates war er als Berater tätig und wurde mittlerweile mehrfach für sein Engagement ausgezeichnet, unter anderem mit der Medaille des Europarates. Nach dem Ende der Amtszeit haben sich die Errungenschaften der Reformen immer wieder als fragil erwiesen.
Krisensichere demokratische Strukturen
2006 wurde Monika Auwetter-Kurtz zur Präsidentin gewählt. Durch ihre Beteiligung an der Forschung für die Rüstungsindustrie erhielt sie bereits vor ihrer Wahl von der Boulevard-Presse den Spitznamen „Raketen-Moni“. Nach Meinung vieler Studierender und Mitarbeitender verletzte ihre Wirtschaftsnähe das Prinzip der Neutralität. Nachdem sie per Erlass durchsetzte, dass UHH-Mitarbeitende sich nicht ohne Zustimmung der Pressestelle gegenüber Journalisten äußern dürften, und Mitarbeitende entließ, die sich zuvor kritisch geäußert hatten, geriet sie zunehmend unter Druck. Als sie zudem die Wahl des Dekans der geisteswissenschaftlichen Fakultät blockiert hatte, forderten 120 Professorinnen und Professoren in einer gemeinsamen Erklärung ihre Abwahl. Die Hochschule habe sich „zu einer autoritär geführten Einrichtung entwickelt“, hieß es in der Begründung. Auwetter-Kurz wurde 2009 vorzeitig aus ihrem Amt entlassen, die demokratischen Strukturen der Universität hatten sich als krisensicher erwiesen.
Oder doch nicht?
Inwiefern die Errungenschaften des Reformprozesses uns in Zukunft erhalten bleiben, ist fraglich. Die Gesellschaft driftet zunehmend auseinander, wissenschaftliche Fakten werden immer unwichtiger, Gefühle und populistische Thesen nehmen immer mehr Raum im gesellschaftlichen Diskurs ein.
Die zunehmende Verschulung vieler Studiengänge durch die Bologna-Reformen, und die Verschiebung des Fokus von einer umfassenden Bildung und dem Prinzip „forschendes Lernen“ hin zu einer wirtschaftskompatiblen Ausbildung gemeinsam mit der strukturellen Unterfinanzierung und der damit verbundenen Abhängigkeit von Drittmitteln sind Herausforderungen, mit denen alle Angehörigen der Universität sich in den kommenden Dekaden beschäftigen müssen.
Um einen Rückfall in alte und autoritäre Organisations- und Denkstrukturen zu verhindern, braucht es auch in Zukunft mutige Aktivisten wie Detlev Albers und Gert H. Behlmer sowie kluge Manager und Reformer wie Peter Fischer-Appelt.
Stimmt, hierzulande hatten die 68er ja eigentlich auch viel mit Unikram und so zu tun, nicht nur mit Hippies und Peace, Love & Happiness