Universitätsgeschichte spiegelt sich immer auch in den Äußerungen und Aktionen der Studierendenvertretungen wieder – im Fall der Universität Hamburg sogar direkt seit Gründung der Universität. Ein Beitrag von Meike Schickhoff.
Studierendenschaft während der Weimarer Republik
Schon im Mai 1919 wurde erstmals der „Allgemeine Studentenausschuss“ gewählt. Der AStA wurde jedoch ähnlich wie die Mehrheit der Studierenden und Lehrenden damals durch nationalistische, antidemokratische und monarchistische Einstellungen geprägt. Als auf der Gründungsfeier der UHH der Studierendenvertreter W. Ehlers sich in einer Rede zur Demokratie und zur internationalen Verständigung bekannte, wurde er scharf von rechten Studierenden angegriffen. Antidemokratische und reaktionäre Korporationen waren in den 20er-Jahren einflussreiche studentische Gruppierungen, die gegen Ende der Weimarer Republik den Aufstieg des NS-Studentenverbands massiv unterstützten. Aber schon 1919 war Antisemitismus unter Studierenden weit verbreitet. Jüdinnen und Juden war die Wahl zum AStA nur unter Abgabe einer „Deutschtumserklärung“ möglich, bis die Behörde dies unterband. Zehn Jahre später forderte der AStA mehrheitlich einen NC für Jüdinnen und Juden. Auch republikfeindliches Gedankengut wurde immer offener geteilt: Ab 1927 gab es studentisch organisierte Kundgebungen gegen die „Kriegsschuldlüge“, die 1929 in dem Errichten eines Scheiterhaufens gipfelte, auf dem der Versailler Vertrag sowie die Weimarer Verfassung verbrannt wurden. Ab 1931 war der NS-Studentenbund stärkste Kraft im AStA und konnte die politische Linie maßgeblich bestimmen, was zur massiven Hetze gegen jüdische und linke Studierende und Lehrende führte. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Wider den undeutschen Geist“ organisierten Studierende im Mai 1933 schließlich eine Bücherverbrennung am Kaiser-Friedrich-Ufer. Dabei hatte Heinrich Heine schon 1823 gewarnt: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“1
Die 68er
Dieser Auszug aus der Geschichte der Hamburger Studierendenschaft wird stark kontrastiert durch die progressiven Aufbrüche in den späten 60er-Jahren. Die Studierendenschaft setzte sich kritisch mit inhaltlichen Themen wie Kolonialismus und den Kolonialdenkmälern auf dem Universitätsgelände, den Notstandsgesetzen der Bundesregierung sowie der NS-Vergangenheit auseinander und ging auf die Straße, um ein Bundesausbildungsgesetz zu fordern, gegen den Vietnam-Krieg zu demonstrieren und um gegen die Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg zu protestieren. Eine Massenbewegung organisierte sich und machte ihrer Wut über fehlende Partizipation in Universität und Gesellschaft Luft. Die Studierenden forderten die demokratische Gestaltung der Universität und wollten politische und gesellschaftliche Missstände beseitigen. Exemplarisch dafür steht eine Aktion bei der feierlichen Rektoratsübergabe 1967: Trotz Polizeikontrollen gelang es zwei Studierenden, dem damaligen und dem damals zukünftigen Rektor, beide mit Halskrause und Talar, mit einem Banner voranzuschreiten, auf dem zu lesen war: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“, eine Anspielung auf das 1000-jährige Reich, auf das sich die Nazis bezogen hatten. Die Aktion war als Protest gegen die Ordinarienuniversität zu verstehen. Die Organisatorinnen und Organisatoren äußerten sich: „Uns geht es um Reform. Da haben wir Form Form sein lassen, und auf einmal berichtet die Presse bis hin zu den Springerblättern ausführlich und vor allem sachlich über unsere Probleme und erkennt die Berechtigung unserer Forderungen an. Mit dieser Unterstützung der Öffentlichkeit und einer verstärkten Bewusstseinsbildung unter den Studenten wollen wir schaffen: den Schritt vom Mittelalter ins 20. Jahrhundert.“2 Die Proteste hatten Erfolg – die Universität demokratisierte sich. Beispielsweise konnten ab 1968 die studentischen Vertreterinnen und Vertreter im akademischen Senat und in den Fakultäten an der Wahl des Rektors teilnehmen, von der die Ordinarien sie ausschließen wollten.
Was bedeutet das für uns?
Diese beiden Beispiele aus der Geschichte der Hamburger Studierendenschaft zeigen exemplarisch, dass von Studierenden und Universität vielfältige, richtungsweisende Impulse in Richtung der Gesellschaft ausgehen können. Es zeigt aber auch, dass dies im Positiven wie im Negativem der Fall sein kann, und es also an uns Studierenden liegt, uns einzubringen und Universität und Gesellschaft demokratisch zu gestalten. Wir können aus vergangenen studentischen Kämpfen lernen und anknüpfend an die Tradition der 68er fortwährend alles hinterfragen – und uns so für gegenwärtige und zukünftige hochschul- und allgemeinpolitische Auseinandersetzungen qualifizieren und eine humane, demokratische und solidarische Zukunft erstreiten!
Glückwunsch
100 Jahre bewegte Universitätsgeschichte zeigt, dass Demokratie und Humanismus erkämpft und gelebt werden müssen. Deshalb liebe Uni und liebe Uni-Mitglieder, lasst uns uns mit der Vergangenheit kritisch auseinandersetzen und daraus lernend die Zukunft durch Bildung und Wissenschaft gestalten! Meike Schickhoff
Quellen
Micheler, Stefan & Michelsen, Jakob (1994): Der Forschung? Der Lehre? Der Bildung? Wissen ist Macht! 75 Jahre Hamburger Universität. Studentische Gegenfestschrift zum Universitätsjubiläum 1994, im Auftrag des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität Hamburg.
(1) Heinrich Heine (1832): Almansor. Eine Tragödie. Berlin: Dümmler. Vers 243f.
(2) Micheler, Stefan & Michelsen, Jakob (1994): Der Forschung? Der Lehre? Der Bildung? Wissen ist Macht! 75 Jahre Hamburger Universität. Studentische Gegenfestschrift zum Universitätsjubiläum 1994, im Auftrag des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität Hamburg. S. 253.