Das Fach Medizin ist in der Allgemeinbevölkerung mit vielen positiven Attributen besetzt. Jemand, der Medizin praktiziert, hat die Aufgabe zu helfen und zu heilen. Dank der modernen Medizin ist die Lebenserwartung so hoch wie nie. Viele Krankheiten, die früher tödlich waren, sind heute gut behandelbar. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass vor nicht einmal einem Jahrhundert medizinisches Wissen und ärztliche Tätigkeit missbraucht wurden, um Menschen zu schaden. Denise Yang
Medizinhistorisches Museum
Dieses von 1913 bis 1926 erbaute Haus umfasste ursprünglich Labore, Hörsäle, einen Mikroskopiersaal und Versuchstierställe. Auch Sektionen wurden hier im architektonisch einzigartigen und heute vollständig restaurierten Sektionssaal noch bis vor zwölf Jahren durchgeführt. Jetzt beherbergt das Gebäude unter anderem das Medizinhistorische Museum Hamburg. Neben zahlreichen anderen Ausstellungen ist hier auch der Lern- und Gedenkort Medizinverbrechen im Nationalsozialismus zu finden.
Medizinverbrechen im Nationalsozialismus
Die Dauerausstellung thematisiert einerseits die ärztlich bewilligten Krankenmorde ab August 1939 im Rahmen der Aktion T4. Mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen wurden im Zuge dieser Aktion systematisch ermordet. Ein Schwerpunkt gilt den Hamburger Krankenmorden, die dezentral nach Ende der Aktion T4 im August 1941 fortgesetzt wurden. Andererseits zeigt die Ausstellung neben den Menschenversuchen an KZ-Häftlingen eine weitere erschreckende Seite der Medizinverbrechen im Nationalsozialismus auf, die Zwangssterilisationen. Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet. Eugenische Zwangssterilisationen wurden somit legalisiert. Insgesamt wurden von 1934 bis 1945 etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert. Hauptbetroffene waren geistig und körperlich behinderte Menschen, psychisch erkrankte Menschen, aber auch Alkoholkranke.
Dorothea Buck
Das Ausmaß und das Leid, das diese Verbrechen bei den Betroffenen zur Folge hatten, wird in der Ausstellung durch das persönliche Schicksal der Dorothea Buck eindrücklich dargestellt. Dorothea Buck war eine Hamburger Künstlerin, die 1936 aufgrund der Diagnose „Akute Schizophrenie“ im Alter von 19 Jahren zwangssterilisiert wurde. Ende der 1980er-Jahre begann sie sich für eine menschlichere Praxis in der Psychiatrie einzusetzen und war 1989 an der Gründung des ersten Psychoseseminars mitbeteiligt, in dem Patientinnen und Patienten, Angehörige sowie Ärztinnen und Ärzte für ein besseres Verständnis von Psychosen in einen Trialog treten.
Medizin heute und in der Zukunft
Medizin kann in diesem Zusammenhang also durchaus „böse“ genannt werden, aber natürlich ist sie deswegen nicht per se „böse“. Genauer handelt es sich um den Missbrauch einer Machtposition, die Ärztinnen und Ärzte aufgrund fachlicher und institutioneller Faktoren innehaben. Diesen Missbrauch gilt es durch das reflektierte Wissen über diese Verbrechen gegen die Menschheit zu verhindern. Es ist die Aufgabe unserer und der auf uns folgenden Generationen, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Ärztinnen und Ärzte müssen sich ihrer Verantwortung und Deutungsmacht bewusst sein und behutsam mit ihr umgehen können.

Quellen
Medizinhistorisches Museum Hamburg, Lehr- und Gedenkort Medizinverbrechen im Nationalsozialismus
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Verhütung_erbkranken_Nachwuchses
https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
https://de.wikipedia.org/wiki/Dorothea_Buck