Jeder kennt sie: Die Vorstellung des älteren Mathematik-Professors mit den zerzausten grauen Haaren oder dem Pferdeschwanz, mit dem Karo Hemd und mit Kreide bestäubten Hosen, einer Hornbrille und einem leicht chaotischen Auftritt vor der Tafel. Ist vielleicht etwas dran an diesem Klischee? Ein Beitrag von Maike Rosendahl.
Und tja, es ist tatsächlich so! In den meisten anderen Studiengängen hat mittlerweile die Digitalisierung Einzug gehalten. Power-Point-Präsentationen sind gang und gäbe in jeder Vorlesung, alle Übungen sind online und eine Tafel findet man in den meisten Hörsälen nicht mehr. Bei uns im Geomatikum der Universität Hamburg hängen immer noch die berüchtigten grünen Tafeln, die mittlerweile in nahezu jeder weiterführenden Schule ausgemustert wurden, en masse. Ungefähr sechs bis acht pro Hörsaal. Und alle werden während einer Vorlesung mehrmals beschrieben. So oft, dass wir am Anfang Wetten abgeschlossen haben, wie viele Tafeln es wohl diesmal werden. Der Kreideschwund bei uns im Geomatikum ist hoch. Der Prof, der in den meisten Fällen männlich ist, hat tatsächlich oft mit Kreide beschmutzte Kleidung. Denn im Eifer des mathematischen Gefechts mit einem Beweis oder einem Satz, stemmt er schon mal die Hände in die Hüften, um aus der Ferne einen schwierigen Teil des Beweises zu betrachten und wischt sich so die Hände an der Hose ab.
Studium mit Stift und Papier
Auch sonst arbeiten wir in unserem Studium nicht besonders viel mit dem Laptop, um Hausarbeiten zu schreiben oder Referate vorzubereiten. Klar, wir recherchieren im Internet nach Antworten oder Lösungen von scheinbar unlösbaren Aufgaben. Zum Ärger unserer Übungsgruppenleitenden sowie unserer Professorinnen und Professoren, tun wir dies des Öfteren. Ansonsten sind wir aber Stift und Papier verschrieben. Hier gibt es unterschiedliche typabhängige Arbeitsmethoden: Der oder die eine schreibt und radiert ununterbrochen auf dem Weg zur Lösung, der oder die andere streicht durch, weil er oder sie lieber mit Kugelschreiber schreibt – doch handschriftlich unterwegs sind wir fast alle.
Klar hat die Mathematik auch oft mit Programmieren zu tun. In den Nebenfächern, in der Approximation, in der Darstellung und später im Beruf sowieso. Unser wichtigstes Handwerkszeug sind trotzdem Tafel, Kreide, Stift und Papier.
Zukunft: Digitalisierung
Die Mathematik wird sich in der Zukunft dem Digitalen weiter öffnen. Es gibt bereits Studierende mit Notepads, sie ersetzen Blöcke durch Tablets. Zum Zeigen von Diagrammen werden in manchen Vorlesungen – sehr selten – sogar die Beamer benutzt (sofern sie funktionieren). Dies wird wohl langsam aber sicher mehr werden. Aber ob unsere Kreidetafeln und das Papier irgendwann komplett ersetzt werden? Möglich. Ich weiß es nicht und kann es mir auch noch nicht so richtig vorstellen.
Back to the roots?
Wirklich nur ein Vorurteil ist allerdings das oben beschriebene Erscheinungsbild der Lehrenden, also die Brille, die grauen Haare und meist sind auch die Hemden nicht kariert, sondern sogar T-Shirts. Der Studiengang Mathematik, der als Teil der Naturwissenschaften mit zu den Gründungsfakultäten der Universität gehört, befindet sich seit 1975 im Geomatikum, das mit 22 Stockwerken ganz Eimsbüttel überragt. Und seither hat sich das reine Mathe-Studium zumindest in einem Punkt nicht viel verändert. Wir arbeiten auch nach der Vorlesung selbstständig in den Lerngruppen mit Tafel und Kreide weiter – ein wenig in der Zeit steckengeblieben. Heute hat sogar manch ein Studierender eine Tafel zuhause. Aber auch das macht eben unseren Charme aus. Back to the roots, das müssen wir nicht, denn da sind wir schon.
