Wie die Medizin weiblich wurde


Blickt man heute in die Hörsäle der Universitäten, dann verwundert es keinen mehr, dass man da meist überwiegend weibliche Gesichter sieht. Insbesondere in der Medizin sind bis zu zwei Drittel der Erstsemester weiblichen Geschlechtes. Zwar hält sich noch immer das Klischee des „Herrn Doktor“ im langen weißen Kittel mit Stethoskop um den Hals, doch manch einer fordert bereits die Einführung einer Männerquote in diesem Studiengang. Blickt man nun auf die hundertjährige Geschichte der Universität, so stellt sich die Frage, wie und wann es zu dieser stillen Revolution gekommen ist. Lennard Diener gibt Antworten.

Die Gründung der Universität und mit ihr der medizinischen Fakultät 1919, das fällt doch in einen spannenden Zeitraum – war nicht just genau diese Zeit eine der prägendsten Zeiten für die Frauenrechte? Kurz vor dem ersten Weltkrieg durften Mädchen endlich beginnen, weiterführende Schulen zu besuchen und auch ein Studium war ihnen möglich – gerne gesehen war es jedoch nicht. Immerhin, im November 1918 folgte das Frauenwahlrecht, aber Berufswelt und Gesellschaft waren noch immer durch Männer dominiert.

Die erste Ärztin – eine stille Revolution

In der Hamburger Medizin war man jedoch schon ein kleines bisschen weiter: 1826 ließ sich Lisette Helene Buch mit ihrer Zahnarztpraxis in das offizielle Adressbuch eintragen. Nun war dies mit Sicherheit eine Zeit, in der man sich zu Recht vor den Zahnärzten fürchtete und nicht nur Frau Buch war ohne Studium und Approbation, nein, auch die meisten männlichen Kollegen waren als Barbiere in ihrer Ausbildung berufsfremd. Doch die Pionierin der weiblichen Medizin setzte sich auf ganzer Linie durch: Gelernt hatte sie das Handwerk bei ihrem Vater und das offensichtlich so gut, dass sie als einzige Frau und als eine von nur zwölf Menschen überhaupt später die erste Erlaubnis zur Ausübung des Zahnarztwesens von den Behörden erteilt bekam. Und voller Stolz prangte ihr Name bis in ihr neunzigstes Lebensjahr hinein an der Praxistür. Mehr als das fehlende Genus an diesem Schild hat auch niemanden je gestört.
Beste Voraussetzungen also für junge Damen, die die Universität 1919 erklimmen wollten, als es in Hamburg endlich los ging? Immerhin 16,7 Prozent der ersten Anatomielernenden waren weiblichen Geschlechtes. Das sind bereits vier mal so viele wie gewöhnlich auf deutschem Gebiet. War Hamburg also von Anfang an modern und bot den Frauen gleiche Chancen?
Bis in die 70er-Jahre studierten durchschnittlich gerade einmal 26 Prozent Frauen Medizin in Hamburg. Nur um knapp zehn Prozent war der Anteil in über fünfzig Jahren gestiegen. Trotz Grundgesetz und Frauenrechten stand diese Welt still. Das komplementäre Geschlechtermodell hielt sich in den Köpfen und der Medizin. Eine klare Minderheit – und die großen Karrieren waren nicht vorgesehen.

Der Sprung in die Moderne

Auftrieb gab es allerdings in den 90er-Jahren. Bis 2007 lag der Anteil der Medizinstudentinnen in Hamburg phasenweise bei bis zu 70 Prozent. Mittlerweile wird das Medizinstudium mitsamt der Quotendiskussion zum medialen Evergreen: Landarztquote, Numerus clausus, Auswahlverfahren, gar eine Männerquote – kaum ein Monat vergeht ohne entsprechende Diskussionsbeiträge. Blickt man auf die Universität Hamburg, so haben fast exakt zum hundertjährigen Jubiläum die ersten Studierenden den neu begründeten Modellstudiengang mit eigenem Auswahlverfahren abgeschlossen. Unter ihnen sind 55 Prozent Frauen, und Deutschland sucht angesichts von Quotendebatten und Ärztemangel nach Lösungen. Ob man einen Blick nach Hamburg wirft?

Man kann der Universität Hamburg nur gratulieren – mit einer stillen Revolution hat sie begonnen und ist bereit für die nächsten einhundert Jahre! Lennart Diener

Quellen

Brinkschulte, E.(Hg.): Spurensuche – Erste Ärztinnen in Hamburg und am UKE. Hamburg 2014

Schopka-Brasch, Lilja. „Ich Wollte Keine Hausfrau Sein, Ich Wollte Ärztin Sein!“: Studentinnen in Hamburg Und Oslo Zwischen Den Weltkriegen. Berlin: Reimer, 2012.


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